Peter Pilz

BERLINER ZIMMER

Ein Berliner Zimmer ist ein Wohnraum, der das Vorderhaus mit dem Seitenflügel eines Gebäudes beziehungsweise den Seitenflügel mit dem Hinterhaus verbindet. Es ist ein großer Raum, der trotz seiner Größe nur über ein einziges Eck-Fenster verfügt, das zum Hof hinausgeht und daher, vor allem in den unteren Stockwerken, wenig Licht spendet. So steht es im Wörterbuch und in solcher Reinkultur gibt es diese Art von Zimmer vor allem in der Mietskasernenstadt Berlin und so hat es Peter Pilz dort auch bezogen, in Berlin-Neukölln, wo die Höfe besonders eng und verschachtelt und die Berliner Zimmer besonders häufig sind. Das Berliner Zimmer entstand aus der Verlegenheit, auch die Ecken zwischen in alle Richtungen und auf engem Raum wuchernden Wohnungsbauten zu nutzen, und wurde doch bald zum favorisierten Raum, in dem es sich genüsslich wohnen lässt, tief eingebettet in den Uterus der Stadt, unbelästigt vom grellen Sonnenlicht und lästigen Nachbarsblicken, mit viel Wandfläche zur Platzierung von Möbeln, Bildern und Zeug, in einem Freiraum, den jeder unbehelligt vom Draußen verwenden kann. Peter Pilz benutzt sein Berliner Zimmer als Gedankenwerkstatt für seine Kunstprojekte, und nicht nur das. Peter Pilz macht die ganze Stadt zu seinem Zimmer, in dem er als Flaneur auf und ab schreitet, denkt, plant, entwirft. Dinge ausgräbt und ihnen andere Bedeutungen verleiht. In dem er seinen Fundstücken neue Aufgaben verleiht, die denen bislang fremd waren. In dem er Alltagsgegenstände in andere Dimensionen verlegt, Horizontalen zu Vertikalen macht oder Wannen zu Sitzmöbeln. Peter Pilz kommt aus Sankt Martin an der Raab, wo alles seine festgelegte Bedeutung hat: Ein Wald, ein Acker, ein Baum, ein Haus, ein Bauer, ein Feuerwehrmann, eine Kellnerin. Dort hat er damit begonnen, die Aufgaben der Dinge umzudeuten: Eine Wiese in einen Krater, einen Wachturm in ein Aussichtsobjekt ohne Aussicht, einen Hof in eine Grube. Das Dorf steht trotzdem fest, die Landschaft bewegt sich dennoch nicht, das Land regiert mit harter Hand. Deswegen hat sich Peter Pilz in Berlin sein Zimmer organisiert, in dem er den Dingen nach Lust und Laune neues Leben verleiht. Berlin ist das Zimmer, in dem er seinem Bedeutungshandwerk nachgeht. Peter Pilzens Zimmer ist sein Berlin ist sein Berliner Zimmer.

Lukas Lessing

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